In seinem Urteil Az.: II ZR 141/21 vom 23. Mai 2023 hat der BGH entschieden, dass der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts nicht die Zwecke, wann der Vorstand zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigt sein soll, ausdrücklich nennen muss. Die Zwecke, in denen die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss genutzt werden darf, können auch in einer nicht abschließenden, beispielhaften Aufzählung in einem nach § 203 Abs. 2 S. 2, § 186 Abs. 4 S. 2 AktG der Hauptversammlung zugänglich zu machenden Vorstandsbericht genannt werden.
Die Hauptversammlung kann den Vorstand für höchstens fünf Jahre ermächtigen, das Grundkapital bis zu einem bestimmten Nennbetrag durch Ausgabe neuer Aktien zu erhöhen (genehmigtes Kapital). Die Satzungsermächtigung kann zudem vorsehen, dass der Vorstand über den Ausschluss des Bezugsrechts entscheidet. Eine Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss ist ausdrücklich und ordnungsgemäß mit der Tagesordnung bekannt zu machen und der Vorstand hat einen schriftlichen Bericht über den Grund für die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss zugänglich zu machen.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Sie veröffentlichte im Mai 2017 im elektronischen Bundesanzeiger die Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung. Als einer der Tagesordnungspunkte war die Beschlussfassung über die Ermächtigung des Vorstands zur Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals durch Änderung der Satzung aufgeführt. Dem Vorstand sollte dabei auch die Erlaubnis erteilt werden, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen. In dem mit der Einberufung zur Hauptversammlung bekanntgemachten Bericht des Vorstands zu dieser Ermächtigung heißt es beispielhaft, wann ein solcher Bezugsrechtsausschluss in Frage komme.
Die Hauptversammlung stimmte dem Tagesordnungspunkt und der entsprechenden Satzungsänderung zu. Die Klägerin, Aktionärin der Beklagten, nahm an der Hauptversammlung teil und erklärte Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss. Mit ihrer Anfechtungsklage wollte sie den Beschluss insoweit für nichtig erklären lassen, als der Vorstand zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt wurde.
Der BGH weist die Revision der Klägerin zurück, da der von der Hauptversammlung gefasste Beschluss, mit dem der Vorstand zur Schaffung eines genehmigten Kapitals und zum Bezugsrechtsausschluss ermächtigt wurde, nicht gegen Gesetz oder Satzung verstoße.
Die Hauptversammlung könne die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss der Aktionäre nach §§ 203 Abs. 2 S. 1, 186 Abs. 4 AktG uneingeschränkt in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stellen. Die Ermächtigung zu einem solchen Ausschluss bedürfe keiner abschließenden Aufführung der mit einer Ausschließung verfolgten Zwecke. Die Benennung solcher Zwecke könne auch in einem nach §§ 203 Abs. 2 S. 2, 186 Abs. 4 S. 2 AktG der Hauptversammlung zugänglich zu machenden Vorstandsbericht durch eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung von Ausschlussfällen erfolgen.
Dies entspreche dem Zweck des genehmigten Kapitals, der Aktiengesellschaft bzw. ihren Verwaltungsorganen die Bewegungsfreiheit zu geben, die erforderlich ist, um auf dem Kapital- und Beteiligungsmarkt sich bietende Gelegenheiten rasch, flexibel und erfolgreich ausnutzen zu können. Dazu sei es im Einzelfall auch erforderlich, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen, wozu der Vorstand nach § 203 Abs. 2 S. 1 AktG ermächtigt werden kann.
Nach der Rechtsprechung des BGHs steht es der Hauptversammlung grundsätzlich frei, die Grenzen der von ihr erteilten Ermächtigung zu bestimmen (BGH, Beschluss vom 11.06.2007 – II ZR 152/06). Sie kann die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss dabei auch uneingeschränkt in das Ermessen des Vorstands stellen und die ihr in allgemeiner Form von der Verwaltung vorgeschlagene Maßnahme sodann nur auf ihre allgemeine Vereinbarkeit mit dem wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse prüfen.
Die Revision bemängelte an dieser Rechtsprechung, dass der Vorstand mit einer uneingeschränkten, im pflichtgemäßen Ermessen stehenden Ermächtigung nicht ausreichend gebunden sei und einen zu großen Spielraum erhalte, um den Ausschluss des Bezugsrechts zu rechtfertigen. Dagegen bringt der BGH zum einen den Wortlaut des § 203 Abs. 2 AktG vor, der keine Beschränkung der Ermächtigung auf bestimmte von der Hauptversammlung vorgesehene Zwecke verlangt. Zum anderen spreche die Entstehungsgeschichte der Norm für die Ansicht des BGHs, da der Gesetzgeber mit ihr vor Augen hatte, dass der Vorstand das genehmigte Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts in einem Fall ausnutzen darf, der im Zeitpunkt der Erteilung der Ermächtigung noch nicht absehbar ist. Dem widerspräche es, abschließende Vorgaben für die Ausübung der Ermächtigung zu verlangen.
Die Aktionäre seien genügend geschützt, da der Vorstand über einen Bezugsrechtsausschluss nur bei sachlicher Rechtfertigung entscheiden darf und zudem der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf (§ 204 Abs. 1 S. 2 AktG). Außerdem können sie die Entscheidung des Vorstands im Wege der Unterlassungs- oder Feststellungsklage dahingehend überprüfen lassen, ob der Vorstand bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals bzw. der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss unter Überschreitung der ihm eingeräumten Kompetenzen Entscheidungen getroffen hat, die von den gesetzlichen Vorgaben und/ oder dem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung nicht gedeckt sind. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer gegen einen Verwaltungsbeschluss angestrengten Aktionärsklage komme dem Aktionärsschutz dabei entgegen. Denn Unklarheiten der Ermächtigung dürften angesichts der grundsätzlichen Kompetenz der Hauptversammlung für den Bezugsrechtsausschluss nicht zum Nachteil der Aktionäre gehen. Bei Zweifeln habe der Vorstand von der Ausübung der Ermächtigung abzusehen.
Beschließt die Hauptversammlung eine solche Satzungsänderung, wonach der Vorstand bei der Nutzung eines genehmigten Kapitals ermächtigt wird, über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden, sei der entsprechend § 186 Abs. 4 S. 2 AktG zu erstellende Vorstandsbericht bei der Auslegung des Hauptversammlungsbeschlusses heranzuziehen.
Der BGH bestätigt mit seiner Entscheidung das, was bereits vielerorts gelebte Praxis ist. Er wendet für künftige Ermächtigungen formelle Hürden ab, die im Gesetz nicht verankert sind und dem Sinn und Zweck des genehmigten Kapitals widersprechen würden. Die Ausnutzungsmöglichkeiten des genehmigten Kapitals gestalten sich dadurch ausgesprochen flexibel. Auf der anderen Seite mangelt es bei einer nur beispielhaften Auflistung von Zwecken der Ermächtigung an einer Orientierungshilfe für die interne Pflichtenbindung des Vorstands und damit an Rechtssicherheit. Bei künftigen Satzungsermächtigungen sollte daher darauf geachtet werden, ob der Vorstand lediglich an sein pflichtgemäßes Ermessen gebunden sein soll. Je nachdem sollten die Gründe für den Bezugsrechtsausschluss abschließend oder beispielhaft aufgelistet werden.
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