In einem Erlass vom 16. Oktober 2023 übernimmt die Finanzverwaltung Regelungen aus zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) aus 2021 und 2022 zur Zurechnung von Grundbesitz und stellt daneben weitere neue Kriterien auf. Aus den neuen ab sofort anzuwendenden Kriterien der Finanzverwaltung können sich erhebliche Auswirkungen auf Dokumentations- und Anzeigeverpflichtungen, sowie möglicherweise erhebliche steuerliche Mehrbelastungen auf Grund potenzieller Doppelbesteuerungen ergeben. Dies betrifft Unternehmensgruppen und Investmentfonds mit deutschem Grundbesitz, insbesondere wenn dieser über mehrstufige Beteiligungsketten gehalten wird.
Der gleichlautende Ländererlass (GLE) stellt die zwischen den Obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmte Verwaltungsmeinung zur Umsetzung des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) nach den Urteilen des BFH II R 44/18 vom 1. Dezember 2021, und II R 40/20 vom 14. Dezember 2022 dar.
Der GLE thematisiert die Zurechnung von Grundbesitz ausschließlich für die Ersatztatbestände des § 1 Abs. 2a bis Abs. 3a GrEStG – sogenannte Share Deals. Nach diesen Ersatztatbeständen lösen bestimmte direkte und indirekte Übertragungen von Beteiligungen an Personen- oder Kapitalgesellschaften Grunderwerbsteuer (GrESt) aus, wenn eine der betroffenen Gesellschaften „grundbesitzend“ ist, ihr also in Deutschland belegener Grundbesitz zuzurechnen ist. Zur Zurechnung von Grundbesitz soll nach der Auffassung der Finanzverwaltung jetzt Folgendes gelten:
- Zunächst bestätigt der GLE weiterhin den anerkannten Grundsatz, dass für Zwecke der GrESt die Zurechnung eines Grundstückes sich weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 Abgabenordnung richtet, sondern dass allein die sogenannte grunderwerbsteuerliche Zurechnung maßgeblich ist.
- Ein Grundstück soll einer Gesellschaft für Zwecke eines § 1 Abs. 2a bis Abs. 3a GrEStG steuerrelevanten Share Deals zuzurechnen sein, wenn die Gesellschaft zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen Erwerbsvorgang verwirklicht hat, der unter § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG (insbesondere Asset Deal) fiel– wie auch vom BFH in den Urteilen II R 44/18 und II R 40/20 entschieden.
- Spiegelbildlich soll nach dem GLE einer Gesellschaft ein Grundstück nicht mehr zugerechnet werden, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen Erwerbsvorgang verwirklicht hat, der unter § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG fällt (insbesondere Asset Deal) – s. auch BFH Urteil II R 40/20 – wobei hier in der Regel bereits der wirksame Abschluss eines Kaufvertrags maßgeblich ist.
- Neu soll nach dem GLE jetzt auch dasselbe Grundstück zusätzlich einer weiteren Gesellschaft zuzurechnen sein, wenn diese Gesellschaft einen Erwerbsvorgang hinsichtlich dieses Grundstücks verwirklicht, der unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fällt – der BFH hatte hier im Urteil II R 44/18 die Thematik der möglichen doppelten Zurechnung nicht adressiert. Das bloße Halten einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe sei für eine Zurechnung alleine noch nicht ausreichend.
- Die Zurechnung eines Grundstücks an eine Gesellschaft soll nach dem GLE für Zwecke des § 1 Abs. 2a bis Abs. 3a GrEStG enden, wenn
- ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht,
- die Beteiligung der Gesellschaft an der grundbesitzenden Gesellschaft unter die für § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG maßgebende Beteiligungsgrenze (in der Regel 90 %) sinkt oder wenn
- der (direkt) grundbesitzenden Gesellschaft das Grundstück nicht mehr zuzurechnen ist. Dies entsprechend den Kriterien aus BFH Urteil II R 40/20.
- Durch die Erfüllung eines Tatbestandes nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG (Fälle des fiktiven Neugesellschafters) soll die Zurechnung eines Grundstücks hingegen explizit nicht beendet werden – wie auch vom BFH im Urteil II R 40/20 ausgeführt.
- Zum Spannungsverhältnis der Tatbeständen nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG – Fälle des fiktiven Neugesellschafters mit dem Closing als maßgeblichem Besteuerungszeitpunkt – und nach § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG – alle Anteilsübertragungsvorgänge mit dem Signing als maßgeblichem Besteuerungszeitpunkt – soll nach dem GLE jetzt Folgendes gelten:
- Bei gleichzeitiger Verwirklichung der § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 2, Nr. 4 oder Abs. 3a GrEStG – etwa im Falle einer Verschmelzung – ist § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG vorrangig und § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG wird verdrängt. Entsprechend soll sich die Zurechnung des Grundstücks in diesem Fall nicht ändern.
- Wenn die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder Abs. 3a GrEStG und die Verwirklichung des § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG auseinanderfallen – etwa wenn Signing und Closing eines SPA (wie üblich) auseinanderfallen – wird zunächst der Tatbestand des § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG verwirklicht. Dadurch soll dann das Grundstück entsprechend neu der Erwerberin der Anteile zugerechnet werden. Eine Nichtfestsetzung oder Aufhebung der GrESt nach § 16 Abs. 4a, Abs. 5 S. 2 GrEStG nach dem erfolgten Closing soll diese Zurechnung auch nicht mehr ändern.
- Daneben ist die Finanzverwaltung nach dem GLE der Auffassung, dass wenn ein Erwerb nach § 16 GrESt rückgängig gemacht wird, sich die Zurechnung des Grundstücks erst nach Aufhebung der GrESt-Festsetzung und ohne Rückwirkung ändern soll. Im Falle eines Rückerwerbs nach § 16 Abs. 2 GrEStG soll die Zurechnung mit Abschluss des Rechtsgeschäfts über den Rückerwerb beendet werden.
Die genannten Inhalte des GLE entfalten keine Gesetzeswirkung, binden aber die Steuerverwaltung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens. Das bedeutet insbesondere, dass eine gerichtliche Anfechtung von Steuerbescheiden, die auf Basis des neuen GLE ergehen, weiterhin möglich ist, wobei der betreffende Bescheid dann in Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen und höhergerichtliche Rechtsprechung – insbesondere durch den BFH – geprüft wird.
Die umfassenden neuen Zurechnungskriterien nach dem GLE können möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf geplante Beteiligungsveräußerungen und auf konzerninterne Umstrukturierungen haben, insbesondere besteht die Gefahr von doppelter Besteuerung mit Grunderwerbsteuer auf verschiedenen Ebenen in mehrstufigen Beteiligungsketten. Daneben ist es empfehlenswert, laufende Compliance-Prozesse auf die im GLE genannten Kriterien anzupassen. Unternehmen, die im Rahmen ihrer Beteiligungsstruktur in Deutschland belegenen Grundbesitz halten, sollten daher zukünftig auf Folgendes achten:
- Im Vorfeld zu geplanten Beteiligungsveräußerungen und Restrukturierungen sollten die grunderwerbsteuerlichen Auswirkungen, insbesondere auch mögliche doppelte GrESt-Belastungen genau analysiert werden, um Steuerzahlungs- und Anzeigepflichten nach dem GLE rechtzeitig zu identifizieren. Deutsche grunderwerbsteuerliche Auswirkungen können sich dabei auch aus rein ausländischen Transaktionen ergeben.
- Identifizierte Anzeige- und Zahlungspflichten sind entsprechend in der Dokumentation zur geplanten Transaktion zu integrieren, möglicherweise kann die Transaktionsstruktur zur Risikominimierung auch angepasst werden. Es sollte dabei auch beachtet werden, dass grunderwerbsteuerliche Anzeigefristen sehr kurz sind und teils nur zwei Wochen betragen können (jeweils nach Signing und/oder Closing).
- Im Rahmen der laufenden Compliance sollte die Erwerbs- und Restrukturierungshistorie in Bezug auf deutschen Grundbesitz jeweils auf einzelne Grundstücke bezogen sorgfältig dokumentiert werden. Dabei sind insbesondere auch alle Vorgänge in Bezug auf Beteiligungen entlang der gesamten Beteiligungskette einzuschließen, um im Fall von geplanten Beteiligungsveräußerungen und Restrukturierungen eine genaue Prüfung der Zurechnung von Grundbesitz nach den obigen Kriterien des GLE zu ermöglichen.
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