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BGH bestätigt gesteigerte Sorgfaltspflicht des Verkäufers bei virtueller Bereitstellung von Informationen im Rahmen des Due Diligence Prozesses

Legal Insights Germany

18. Dezember 2023

Der Bundesgerichtshof erhöht durch sein Urteil vom 15.09.2023 (Az. V ZR 77/22) die Anforderungen, die an einen Verkäufer im Rahmen der Due Diligence zu stellen sind. Er stellt fest, unter welchen Umständen der Verkäufer seiner Aufklärungspflicht im Einzelfall nachkommt, insbesondere wenn für die Transaktion relevante Informationen in einem virtuellen Datenraum bereitgestellt werden.

Der Verkäufer hat sicherzustellen, dass die eingestellten Informationen zutreffend benannt und systematisch geordnet sind, rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden und der Käufer bei nachträglicher Bereitstellung im virtuellen Datenraum explizit auf diese hingewiesen wird.

Sachverhalt

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte den Fall zu entscheiden, ob eine Verkäuferin im Rahmen einer Immobilientransaktion ihren Aufklärungspflichten nachgekommen ist, sofern bestimmte relevante Informationen (hier ein Protokoll der Eigentümerversammlung) erst nachträglich in den Datenraum eingestellt wurden. Die Verkäuferin stellte das entsprechende Protokoll kurz vor dem Notartermin der Transaktion in den Datenraum ein. Hieraus ergaben sich Informationen, die eine potentielle, umfassende Haftung der Käuferin begründen konnten. Es war zu unterstellen, dass die Käuferin den virtuellen Datenraum in dem kurzen Zeitraum vor dem Notartermin nicht mehr eingesehen hatte und insoweit keine Kenntnis hiervon beim Abschluss des Kaufvertrags hatte.

Entscheidung des BGH

Der BGH führte zunächst allgemein aus, dass nicht jeder Umstand, der für die andere Vertragspartei nachteilig sein könnte, in den Vertragsverhandlungen offenbart werden muss. Sofern der Verkäufer aber Angaben in tatsächlicher Hinsicht macht, die für die Kaufentscheidung des Käufers relevant sein könnten, so müssen diese Informationen gleichwohl richtig und vollständig sein, auch wenn eine Offenbarungspflicht grundsätzlich nicht besteht.

Diese Grundsätze finden nach Ansicht des BGH insbesondere dann Anwendung, sofern explizit Fragen seitens der Käuferin gestellt werden. Die entsprechenden Antworten müssen insoweit auch richtig und vollständig sein. Rechtsfolge dessen ist, dass sich bei Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit unter Umständen eine vorvertragliche Pflichtverletzung, unabhängig von einer Offenbarungspflicht ergibt. Irrelevant sei demnach, dass die Käuferin Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hatte (im vorliegenden Fall der allgemeinen Sanierungsbedürftigkeit des Gebäudes), da die diesbezüglichen Angaben der Verkäuferin insoweit unvollständig waren.

Die Verkäuferin habe ihre Aufklärungspflicht verletzt, da es sich bei der Sanierungsbedürftigkeit im konkreten Fall, insbesondere betreffend den Umfang und die Umstände der damit verbundenen Kostenbelastung, um einen offenbarungspflichtigen Umstand gehandelt habe. Der BGH führt zwar aus, dass es keine allgemeine Rechtspflicht zur Aufklärung über alle Einzelheiten und Umstände der Transaktion, die die Willensentschließung beeinflussen können, gibt; insoweit ist jede Partei für die Beschaffung der relevanten Informationen für die eigene Entscheidung selbst verantwortlich.

Gleichwohl besteht nach Ansicht des BGH die Pflicht jeder Vertragspartei über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen Teils vereiteln könnten und daher für den Entschluss der entsprechenden Partei von wesentlicher Bedeutung sind. Das sei vor allem dann der Fall, wenn die Information geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

Eine Vervollständigung der durch die Verkäuferin im Verkaufsprozess bereitgestellten Angaben könne insbesondere auch nicht darin gesehen werden, dass die maßgeblichen Informationen kurz vor Kaufvertragsabschluss in den Datenraum eingestellt wurden. Die Verkäuferin kann aus Sicht des BGH nur dann von einer Erfüllung der Aufklärungspflicht durch die Bereitstellung der Informationen im Datenraum ausgehen, sofern die konkreten Umstände die berechtigte Erwartung zulassen, dass der Käufer die Unterlagen nicht nur zum Zweck allgemeiner Information, sondern unter einem bestimmten Gesichtspunkt gezielt durchsehen wird.

Ein derartiger Fall sei insbesondere gegeben, wenn die Verkäuferin im Rahmen von möglichen Mängeln ein Sachverständigengutachten übergibt. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Käufer alle Unterlagen generell auf Mängel überprüft.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der BGH eine Aufklärungspflichtverletzung der Verkäuferin und mithin eine Schadensersatzverpflichtung bejaht.

Auswirkungen auf die Praxis

Die dargelegten Grundsätze haben auch Auswirkungen auf die Praxis im Rahmen von Mergers and Acquisitions (M&A) Transaktionen und die damit einhergehenden Due Diligence Prüfungen. In der Entscheidung selbst führt der BGH aus, dass dieser Fall sinngemäß auf Unternehmenstransaktionen zu übertragen ist. Sofern im Einzelfall eine Erwartung des Verkäufers besteht, dass der Käufer bestimmte, von dem Verkäufer in dem Datenraum bereitgestellte Informationen im Rahmen der Due Diligence wahrnehmen und in die Entscheidung hinsichtlich der Transaktion einbeziehen wird, ist eine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer nicht erforderlich.

Der Verkäufer erfüllt demnach seine Aufklärungspflicht, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben darf, dass der Käufer durch die Einsichtnahme der Informationen im virtuellen Datenraum Kenntnis von den Tatsachen erlangen wird.

Ob der Verkäufer diese berechtigte Erwartungshaltung haben darf, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere ob und in welchem Umfang der Käufer eine Due Diligence durchführt, wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sind und welche Vereinbarungen hierzu getroffen werden. Darüber hinaus hängt die Erwartungshaltung auch von der Art der Information und dem Dokument, in dem diese enthalten ist, ab.

In der konkreten M&A-Praxis gehört die Durchführung einer umfassenden Due Diligence auf Seiten der Verkäufer in vielen Fällen zum Standard. Dies hat auch Einfluss auf den Aspekt der Aufklärungspflicht, denn der Verkäufer darf von dem Käufer, der eine Due Diligence durchführt, eher erwarten, dass er die zur Verfügung gestellten bzw. dem Zugriff eröffneten Unterlagen vollständig durchsehen und deren jeweilige Bedeutung für seine Kaufentscheidung überprüfen wird, als von einem Käufer, der keine Due Diligence durchführt. Dies gilt vor allem, wenn der Käufer bei der Durchführung der Due Diligence von Experten unterstützt und beraten wird.

Zu beachten ist aber vonseiten der Verkäufer, dass der virtuelle Datenraum auch übersichtlich strukturiert und die Informationen (insbesondere wesentliche Informationen) ordnungsgemäß organisiert sind. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, dass die Daten zutreffend benannt werden und auch systematisch geordnet sind. Eine Wahrnehmung der maßgeblichen Daten durch den Käufer wird auch dadurch erleichtert, dass unter Umständen – je nach Umfang der Datenmenge – ein Inhaltsverzeichnis erstellt wird oder eine Suchfunktion eingefügt wird. In diesem Kontext ist auch von Bedeutung, wie viel Zeit der Käufer für die Sichtung der Informationen hat.

Auch die Wesentlichkeit der zur Verfügung gestellten Information selbst, ist für die Frage relevant, ob der Verkäufer die vorgenannte berechtigte Erwartungshaltung haben darf. Sofern die Information aus Sicht des Käufers die Transaktion insoweit beeinträchtigen kann, als dass mit erheblichen wirtschaftlichen Schäden ohne entsprechende Kenntnis dieser Umstände ex-ante zu rechnen ist, kann der Käufer in aller Regel einen entsprechenden Hinweis des Verkäufers erwarten.

Insoweit würde eine unterbliebene Aufklärung wiederum zu einer Pflichtverletzung führen. Der Verkäufer dürfe nicht sehenden Auges abwarten, ob der Käufer die nur schwer erkennbare, nachträglich eingefügte Information aus der Fülle an bereitgestellten Daten ermittelt. Vielmehr hat der Verkäufer die wesentliche Information klar zu kommunizieren.

Zwar trifft den Käufer im Rahmen von Transaktionen selbst auch eine Obliegenheit, die relevanten Informationen zur Kenntnis zu nehmen, dieser Umstand fällt gerade in die Risikosphäre jeder Vertragspartei. Ein Ausschluss einer Aufklärungspflicht seitens des Verkäufers lässt sich hiermit allerdings nicht begründen. Stattdessen wird eine entsprechende Obliegenheitsverletzung des Käufers allenfalls im Rahmen einer Kürzung des Schadensersatzanspruchs durch das Mitverschulden berücksichtigt.

Schlussfolgerungen

Als Leitfaden für die Verkäuferseite im Rahmen von Unternehmenstransaktionen ist zusammenfassend also Folgendes bei Bereitstellung von Informationen in einem Datenraum zu beachten, um mögliche Haftungsrisiken oder eine Rückabwicklung der Transaktion zu vermeiden:

  • Vollständige und möglichst frühzeitige Zurverfügungstellung der Informationen, insbesondere bei für die Kaufentscheidung wesentlichen Informationen.
  • Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Organisation und übersichtlichen Struktur des Datenraums, je nach Umfang der Datenmenge auch Einrichtung eines Inhaltsverzeichnisses und einer Suchfunktion.
  • Umfassende Offenlegung der relevanten Informationen auf Rück- und Nachfrage der Käuferseite.
  • Entsprechender Hinweis an den Käufer bei nachträglicher Einstellung von Daten in den Datenraum, insbesondere bei für die Kaufentscheidung wesentlichen Informationen.

Nur unter den genannten Umständen kann der Verkäufer berechtigterweise davon ausgehen, dass der Käufer die relevanten Informationen in geeigneter Weise sichtet und von diesen Kenntnis erlangt.

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