Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schaltet sich nur selten in die Diskussion aktueller Rechtsthemen ein. Umso wichtiger ist die jüngste Stellungnahme der BaFin vom 30. März 2023 im BaFin-Journal zum Thema „Collaborative Engagement und die Zurechnung von Stimmrechten: Wann kann es heikel werden?“ einzustufen. Die BaFin ordnet darin in der Praxis besonders relevante Formen des Collaborative Engagements hinsichtlich ihrer Relevanz für wertpapierrechtliche Zurechnungstatbestände ein.
Institutionelle Investoren sprechen sich oftmals zum Thema ESG ab, um ihre Positionen möglichst wirkungsvoll gegenüber den Unternehmen zu vertreten, in die sie investieren.
Dies kann unter Umständen zu Problemen führen. Solche Absprachen können nämlich bestimmte Zurechnungstatbestände des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) und des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) erfüllen. Dies kann zu weitreichenden organisatorischen und finanziellen Konsequenzen für die Investoren führen.
So können Stimmrechtsmitteilungspflichten ausgelöst werden, deren Nichtbefolgung auf Grundlage des WpHG zu Geldbußen und unter Umständen auch Suspendierung des Stimm- und Dividendenrechts führen kann. Führt eine Stimmrechtszurechnung dazu, dass die beteiligten Aktionäre 30% oder mehr der Stimmrechte einer börsennotierten Gesellschaft zugerechnet werden, unterliegen die beteiligten Parteien einer Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots, das durch die BaFin durchgesetzt werden kann.
Ein acting in concert liegt vor, wenn Aktionäre oder deren Tochterunternehmen ihr Verhalten in Bezug auf eine börsennotierte Aktiengesellschaft abstimmen. Eine Abstimmung in diesem Sinne meint, dass sich die Beteiligten über die Stimmrechtsausübung verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung in sonstiger Weise zusammenwirken. Vereinbarungen und Abstimmungen in sonstiger Weise in Einzelfällen sind dabei ausgenommen. Die Voraussetzungen für ein acting in concert sind nach dem WpHG und dem WpÜG identisch.
Variante 1: Verständigung über Stimmrechtsausübung
Eine Abstimmung in Form einer Verständigung über die Stimmrechtsausübung liegt vor, wenn ein Aktionär sein Verhalten in Bezug auf das Unternehmen, in das er investiert ist, durch Vereinbarung mit einem Dritten über die Stimmrechtsausübung abstimmt. Die Vereinbarung kann förmlich oder formlos, ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Erforderlich ist, dass die Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten auf eine tatsächliche und konkrete Einflussnahme bei der Zielgesellschaft gerichtet ist.
Variante 2: Dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung
Auch ein Zusammenwirken in sonstiger Weise stellt ein abgestimmtes Verhalten dar, wenn es mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung erfolgt. Das Zusammenwirken in sonstiger Weise meint in Abgrenzung zur Tatbestandsvariante der Stimmrechtsausübung die Einflussnahme insbesondere auch außerhalb der Hauptversammlung und erfordert die koordinierte, auf einer gemeinsamen Absprache und Strategie beruhende Ausübung gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflusses auf den Emittenten, wobei eine tatsächliche Einflussnahme nicht erforderlich ist, sondern bereits die bloße Absicht genügt.
Ob ein abgestimmtes Verhalten eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zum Ziel hat, soll nach der Ansicht der BaFin nicht abstrakt zu beurteilen sein. Es soll vielmehr auf eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalles ankommen. Hierbei sind stets die von den Beteiligten beabsichtigten Änderungen im Verhältnis zur bisherigen unternehmerischen Ausrichtung des konkret betroffenen Unternehmens in die Bewertung einzubeziehen.
Vereinbarung im Einzelfall: BaFin schließt sich Sichtweise des BGH an
Die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einen Einzelfall darstellt, wird relevant, wenn sich die Beteiligten in Bezug auf eine Zielgesellschaft tatsächlich verständigen. Fehlt es an einer Stimmrechtsabsprache, kommt es auf die Prüfung der Einzelfallausnahme an, wenn die Investoren eine Änderung der Unternehmensausrichtung beabsichtigen.
Ob eine Vereinbarung lediglich einen Einzelfall betrifft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) formal zu beurteilen (Urteile des BGH vom 13. Dezember 2022, II ZR 9/21 und II ZR 14/21, Rn. 88 bzw. Rn. 90). Das bedeutet, dass auf die Häufigkeit des Abstimmungsverhaltens abzustellen ist. Dieser Sichtweise schließt sich die BaFin an.
Ein Einzelfall soll danach grundsätzlich immer dann vorliegen, wenn die jeweilige Verhaltensabstimmung einen einzelnen Sachverhalt betrifft und nicht Bestandteil eines (abgestimmten) Gesamtplans ist bzw. kein Fortsetzungszusammenhang besteht und es somit an einer Kontinuität des abgestimmten Verhaltens fehlt.
In ihrer Stellungnahme analysiert die BaFin unterschiedliche Fallbeispiele im Hinblick auf eine Stimmrechtszurechnung aufgrund abgestimmten Verhaltens.
Mögliche Stimmrechtszurechnung aufgrund abgestimmten Verhaltens
Eine Stimmrechtszurechnung aufgrund abgestimmten Verhaltens kommt nach der rechtlichen Einschätzung der BaFin beispielsweise in Betracht, wenn mehrere Investoren gemeinsam öffentlich Veränderungen bei einem Unternehmen fordern, zum Beispiel durch einen offenen Brief oder eine Pressemitteilung, und als Eskalationsmechanismus ihre individuellen Absichten zur Stimmrechtsausübung auf der nächsten Hauptversammlung formulieren.
Auch, wenn jeder Investor seine Absichten zur Stimmrechtsausübung individuell und unabhängig festlegt, beurteilt die BaFin die als Eskalationsmechanismus gemeinsam erörterten und formulierten Abstimmungsabsichten als Stimmrechtsabsprache. Nach Auffassung der BaFin stellt die gemeinsame Fixierung der von jedem Investor individuell und unabhängig festgelegten Absichten zur Stimmrechtsausübung eine Stimmrechtsabsprache dar, da sich die Ankündigung hinreichend konkret auf Gegenstände einer Hauptversammlung bezieht und eine gemeinsame Position der Investoren widerspiegelt.
Eine Einzelfallausnahme liegt vor, wenn die Stimmrechtsabsprache im Hinblick auf ein Stimmrechtsverhalten allein für eine konkrete Hauptversammlung erfolgt.
Wenn allerdings darüberhinausgehend die von den Investoren beabsichtigen Ziele als dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zu bewerten sind, kann unter Umständen nicht mehr von einer Einzelfallausnahme ausgegangen werden.
Kein abgestimmtes Verhalten, welches zur Stimmrechtszurechnung führt
Kein abgestimmtes Verhalten, dass zu einer Stimmrechtszurechnung führen kann, sieht die BaFin in der Diskussion über ESG-Themen zwischen Investoren und einem gemeinsamen Gespräch der Investoren mit Organmitgliedern des Unternehmens.
Auch die Diskussion über ESG-Themen zwischen Investoren und ein gemeinsames Schreiben der Investoren an Organmitglieder des Unternehmens zur Einforderung von Veränderungen soll kein abgestimmtes Verhalten darstellen.
Ein abgestimmtes Verhalten erkennt die BaFin ebenso wenig in der Diskussion von Eskalationsstrategien nach Verweigerung von Veränderungen durch das Unternehmen.
Nicht als zur Annahme abgestimmten Verhalts ausreichend betrachtet die BaFin schließlich die Stellungnahme eines Investorenvertreters auf einer Hauptversammlung zu ESG-Themen unter Erwähnung der Tatsache, dass die von ihm vertretene Position auch von anderen Investoren geteilt wird.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass eine beabsichtigte Absprache von Investoren zu ESG-Themen bei börsennotierten Gesellschaften vor dem Hintergrund einer möglichen Stimmrechtszurechnung wegen „acting in concert“ stets im Vorfeld aus rechtlicher Sicht zu bewerten ist. Die BaFin macht mir ihrer Stellungnahme deutlich, dass sie in Zukunft diese Konstellationen vermehrt untersuchen und aufgreifen wird.
______________