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11. GWB-Novelle soll Eintrittsbefugnisse des Bundeskartellamts erheblich erweitern

21. April 2023

Die Neuregelung soll es dem Bundeskartellamt insbesondere ermöglichen, eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs in Fällen zu beseitigen, in denen das Amt keinen Kartellrechtsverstoß nachweisen kann - beispielsweise auf oligopolistischen Märkten mit wenigen Anbietern, die für stillschweigende Kollusion anfällig sein können.

Nachdem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im September 2022 den Referentenentwurf der 11. GWB-Novelle veröffentlicht hatte, hat die Bundesregierung im April 2023 einen gegenüber dem Referentenentwurf überarbeiteten Regierungsentwurf verabschiedet. Das Gesetzgebungsverfahren soll nach dem Willen der Bundesregierung schnellstmöglich abgeschlossen werden.

Der Regierungsentwurf der 11. GWB-Novelle sieht signifikante Änderungen des GWB vor, darunter (i) die Einführung neuer Eingriffsbefugnisse für das Bundeskartellamt nach Abschluss einer Sektoruntersuchung, (ii) die Reduzierung der Nachweisanforderungen für die kartellbehördliche Vorteilsabschöpfung sowie (iii) Bestimmungen zur behördlichen und privaten Durchsetzung des Digital Markets Act der EU.

Neue Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts nach abgeschlossener Sektoruntersuchung

Der Regierungsentwurf zielt vor allem darauf ab, die Möglichkeiten des Bundeskartellamts zur Beseitigung von Wettbewerbsdefiziten zu erweitern, die das Amt im Rahmen einer Sektoruntersuchung festgestellt hat. Bislang konnte solchen Wettbewerbsdefiziten nur begegnet werden, wenn das Bundeskartellamt einen Kartellrechtsverstoß festgestellt hat, d.h. nicht angemeldete anmeldepflichtige Zusammenschlüsse, ein Kartell, eine bestimmte Verhaltensweise oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.

Nach dem Regierungsentwurf der 11. GWB-Novelle könnte das Bundeskartellamt künftig gegen Wettbewerbsdefizite vorgehen, selbst wenn eine Sektoruntersuchung keine Anhaltspunkte für einen Kartellrechtsverstoß ergeben hat, sofern das Amt im Anschluss an die Sektoruntersuchung durch Verfügung feststellt, dass eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ vorliegt, z.B. auf konzentrierten oder oligopolistischen Märkten.

Eine solche Wettbewerbsstörung kann durch Faktoren wie Zusammenschlüsse unterhalb der fusionskontrollrechtlichen Anmeldeschwellen, Marktaustritte, internes Wachstum, common ownership oder erhebliche Marktzutrittsschranken verursacht worden sein.

Die vorgesehenen Änderungen in Bezug auf Sektoruntersuchungen und anschließende Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Wettbewerbsstörungen betreffen folgende Aspekte:

  • Beschleunigung des Verfahrens. Dem Regierungsentwurf zufolge soll das Bundeskartellamt Sektoruntersuchungen innerhalb von 18 Monaten nach ihrer Einleitung abschließen, damit das Amt etwaige verhaltensbezogene oder strukturelle Abhilfemaßnahmen nach Abschluss einer Sektoruntersuchung auf ausreichend aktuelle Daten stützen kann.
  • Strengere Anforderungen für die Anmeldung von Zusammenschlüssen unterhalb der Anmeldeschwellen. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass das Bundeskartellamt Unternehmen, die Gegenstand einer Sektoruntersuchung sind, durch Verfügung für drei Jahre zur Anmeldung von Zusammenschlüssen unterhalb der Anmeldeschwellen verpflichten kann. Das derzeit gesetzlich geregelte Erfordernis einer bundesweit starken Marktposition des Adressaten einer entsprechenden Verfügung soll entfallen. Zudem sollen die relevanten Umsatzschwellen für die Anmeldung von Zusammenschlüssen auf 50 Mio. Euro Inlandsumsatz für den Erwerber und 500.000 Euro Inlandsumsatz für das Zielunternehmen (jeweils im letzten Geschäftsjahr) gesenkt werden.
  • Feststellung einer erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs durch Verfügung des Bundeskartellamts. Das Bundeskartellamt soll nach dem Regierungsentwurf die Befugnis erhalten, nach Abschluss einer Sektoruntersuchung durch Verfügung feststellen zu können, dass in dem betreffenden Sektor eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ vorliegt. Die Adressaten einer solchen Verfügung sind Unternehmen, „die durch ihr Verhalten zur Störung des Wettbewerbs in konkreter Ausprägung wesentlich beitragen“. Auf dieser Grundlage soll das Bundeskartellamt diesen Unternehmen auch ohne Feststellung eines konkreten Kartellrechtsverstoßes verhaltensbezogene oder strukturelle Abhilfemaßnahmen auferlegen können. Alternativ sollen die Unternehmen Verpflichtungen zur Beseitigung einer Wettbewerbsstörung anbieten können, die vom Bundeskartellamt für verbindlich erklärt werden.
  • Verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen (außer Entflechtungsanordnungen). Der Regierungsentwurf enthält eine nicht abschließende Liste von verhaltensbezogenen und strukturellen Abhilfemaßnahmen (mit Ausnahme von Entflechtungsanordnungen, siehe unten), die das Bundeskartellamt jedem Adressaten einer Verfügung des Amtes auferlegen kann, mit der es nach Abschluss einer Sektoruntersuchung eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festgestellt hat. Dazu gehören beispielsweise (i) der Zugang zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder wesentlichen Einrichtungen, (ii) Vorgaben zu bestimmten Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung, (iii) Transparenz- oder Nichtdiskriminierungspflichten sowie (iv) die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.
  • Entflechtungsanordnungen. Der Regierungsentwurf sieht als ultima ratio eine Befugnis des Bundeskartellamts zum Erlass einer Entflechtungsanordnung für den Fall vor, dass das Amt nach Abschluss einer Sektoruntersuchung eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs in dem betreffenden Sektor festgestellt hat. Im Gegensatz zu den anderen oben genannten Abhilfemaßnahmen kann das Amt eine Entflechtungsanordnung jedoch nur für marktbeherrschende Unternehmen oder Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB erlassen. Ferner ist ein Unternehmen nur dann zur Veräußerung von Vermögenswerten verpflichtet, wenn der Verkaufserlös mindestens 50 % des Wertes beträgt, den ein vom Bundeskartellamt beauftragter Wirtschaftsprüfer ermittelt hat. Unterschreitet der tatsächliche Verkaufserlös den vom Wirtschaftsprüfer ermittelten Unternehmenswert, soll das betroffene Unternehmen einen teilweisen Ausgleich des Differenzbetrages aus Bundesmitteln erhalten.
  • Durchsetzungsprioritäten. Inwieweit das Bundeskartellamt von seiner Befugnis zum Erlass von Entflechtungsanordnungen Gebrauch machen würde, bleibt abzuwarten. In der Praxis dürfte ein Schwerpunkt der Durchsetzungsprioritäten der vorgesehenen neuen Eingriffsbefugnissen nach der Begründung zum Regierungsentwurf auf Abhilfemaßnahmen liegen, die sich gegen Beschränkungen des Marktzutritts, des Marktaustritts oder der Kapazitäten von Unternehmen oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager richten. Diese Arten der Wettbewerbsstörung sind laut der Begründung zum Regierungsentwurf relativ häufig und könnten in der Regel gleichzeitig durch Maßnahmen von geringer oder mittlerer Eingriffsintensität behoben werden.

Erleichterte Vorteilsabschöpfung

Der Regierungsentwurf sieht reduzierte Nachweisanforderungen des Bundeskartellamts für die Abschöpfung von Vorteilen vor, die Unternehmen durch einen Kartellrechtsverstoß erlangt haben. Zur Vermeidung übermäßig komplexer wirtschaftlicher Berechnungen soll eine gesetzliche Vermutung eingeführt werden, dass ein Kartellverstoß immer einen wirtschaftlichen Vorteil für die Kartellbeteiligten verursacht.

Weiterhin soll eine gesetzliche Vermutung gelten, dass der wirtschaftliche Vorteil mindestens 1 % des im Inland mit den von dem Verstoß betroffenen Produkten oder Dienstleistungen erzielten Umsatzes beträgt. Eine Widerlegung dieser Vermutung soll nur möglich sein, wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass seine Unternehmensgruppe im relevanten Zeitraum der Zuwiderhandlung keinen weltweiten Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat.

Durchsetzung des Digital Markets Act der EU

Mit der 11. GWB-Novelle soll außerdem die wirksame behördliche und private Durchsetzung des Digital Markets Act der EU in Deutschland sichergestellt werden.

Der Entwurf sieht hierzu eine Ermittlungsbefugnis des Bundeskartellamts bei möglichen Verstößen von Gatekeepern gegen Art. 5 bis 7 des Digital Markets Act vor. Im Rahmen behördlicher Zusammenarbeit soll das Bundeskartellamt auch an Verfahren der EU-Kommission teilnehmen können.

In Bezug auf die private Rechtsdurchsetzung sieht der Regierungsentwurf vor, dass Kläger, die Verstöße von Gatekeepern gegen Art. 5 bis 7 des Digital Markets Act geltend machen, von den Regeln für private Kartellschadensersatzklagen profitieren sollen, und dass das Bundeskartellamt die Möglichkeit haben soll, sich als amicus curiae an Gerichtsverfahren zu beteiligen.

Ausblick

Tritt der Regierungsentwurf in der vorliegenden Form in Kraft, würde das Bundeskartellamt im Rahmen einer Sektoruntersuchung nie dagewesene Eingriffsbefugnisse erhalten, ohne dass ein Kartellrechtsverstoß der betroffenen Unternehmen nachgewiesen werden müsste. Dies würde einen Paradigmenwechsel im deutschen Kartellrecht darstellen.

Der Regierungsentwurf befindet sich nun im Gesetzgebungsverfahren. Die Bundesregierung hat ihn bei der Zuleitung an den Bundesrat als besonders eilbedürftig bezeichnet mit dem Ziel, den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens schnellstmöglich zu erreichen. Nachdem der Bundesrat in seiner Sitzung am 12. Mai 2023 beschlossen hat, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben, hat er den Entwurf dem Bundestag zugeleitet. Ob und inwieweit es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch Änderungen am Gesetzentwurf geben wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist damit zu rechnen, dass die 11. GWB-Novelle noch dieses Jahr und möglicherweise sogar noch vor der parlamentarischen Sommerpause in Kraft treten wird.

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