Die Neuregelung soll es dem Bundeskartellamt insbesondere ermöglichen, eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs in Fällen zu beseitigen, in denen das Amt keinen Kartellrechtsverstoß nachweisen kann - beispielsweise auf oligopolistischen Märkten mit wenigen Anbietern, die für stillschweigende Kollusion anfällig sein können.
Nachdem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im September 2022 den Referentenentwurf der 11. GWB-Novelle veröffentlicht hatte, hat die Bundesregierung im April 2023 einen gegenüber dem Referentenentwurf überarbeiteten Regierungsentwurf verabschiedet. Das Gesetzgebungsverfahren soll nach dem Willen der Bundesregierung schnellstmöglich abgeschlossen werden.
Der Regierungsentwurf der 11. GWB-Novelle sieht signifikante Änderungen des GWB vor, darunter (i) die Einführung neuer Eingriffsbefugnisse für das Bundeskartellamt nach Abschluss einer Sektoruntersuchung, (ii) die Reduzierung der Nachweisanforderungen für die kartellbehördliche Vorteilsabschöpfung sowie (iii) Bestimmungen zur behördlichen und privaten Durchsetzung des Digital Markets Act der EU.
Der Regierungsentwurf zielt vor allem darauf ab, die Möglichkeiten des Bundeskartellamts zur Beseitigung von Wettbewerbsdefiziten zu erweitern, die das Amt im Rahmen einer Sektoruntersuchung festgestellt hat. Bislang konnte solchen Wettbewerbsdefiziten nur begegnet werden, wenn das Bundeskartellamt einen Kartellrechtsverstoß festgestellt hat, d.h. nicht angemeldete anmeldepflichtige Zusammenschlüsse, ein Kartell, eine bestimmte Verhaltensweise oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.
Nach dem Regierungsentwurf der 11. GWB-Novelle könnte das Bundeskartellamt künftig gegen Wettbewerbsdefizite vorgehen, selbst wenn eine Sektoruntersuchung keine Anhaltspunkte für einen Kartellrechtsverstoß ergeben hat, sofern das Amt im Anschluss an die Sektoruntersuchung durch Verfügung feststellt, dass eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ vorliegt, z.B. auf konzentrierten oder oligopolistischen Märkten.
Eine solche Wettbewerbsstörung kann durch Faktoren wie Zusammenschlüsse unterhalb der fusionskontrollrechtlichen Anmeldeschwellen, Marktaustritte, internes Wachstum, common ownership oder erhebliche Marktzutrittsschranken verursacht worden sein.
Die vorgesehenen Änderungen in Bezug auf Sektoruntersuchungen und anschließende Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Wettbewerbsstörungen betreffen folgende Aspekte:
Der Regierungsentwurf sieht reduzierte Nachweisanforderungen des Bundeskartellamts für die Abschöpfung von Vorteilen vor, die Unternehmen durch einen Kartellrechtsverstoß erlangt haben. Zur Vermeidung übermäßig komplexer wirtschaftlicher Berechnungen soll eine gesetzliche Vermutung eingeführt werden, dass ein Kartellverstoß immer einen wirtschaftlichen Vorteil für die Kartellbeteiligten verursacht.
Weiterhin soll eine gesetzliche Vermutung gelten, dass der wirtschaftliche Vorteil mindestens 1 % des im Inland mit den von dem Verstoß betroffenen Produkten oder Dienstleistungen erzielten Umsatzes beträgt. Eine Widerlegung dieser Vermutung soll nur möglich sein, wenn das betroffene Unternehmen nachweist, dass seine Unternehmensgruppe im relevanten Zeitraum der Zuwiderhandlung keinen weltweiten Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat.
Mit der 11. GWB-Novelle soll außerdem die wirksame behördliche und private Durchsetzung des Digital Markets Act der EU in Deutschland sichergestellt werden.
Der Entwurf sieht hierzu eine Ermittlungsbefugnis des Bundeskartellamts bei möglichen Verstößen von Gatekeepern gegen Art. 5 bis 7 des Digital Markets Act vor. Im Rahmen behördlicher Zusammenarbeit soll das Bundeskartellamt auch an Verfahren der EU-Kommission teilnehmen können.
In Bezug auf die private Rechtsdurchsetzung sieht der Regierungsentwurf vor, dass Kläger, die Verstöße von Gatekeepern gegen Art. 5 bis 7 des Digital Markets Act geltend machen, von den Regeln für private Kartellschadensersatzklagen profitieren sollen, und dass das Bundeskartellamt die Möglichkeit haben soll, sich als amicus curiae an Gerichtsverfahren zu beteiligen.
Tritt der Regierungsentwurf in der vorliegenden Form in Kraft, würde das Bundeskartellamt im Rahmen einer Sektoruntersuchung nie dagewesene Eingriffsbefugnisse erhalten, ohne dass ein Kartellrechtsverstoß der betroffenen Unternehmen nachgewiesen werden müsste. Dies würde einen Paradigmenwechsel im deutschen Kartellrecht darstellen.
Der Regierungsentwurf befindet sich nun im Gesetzgebungsverfahren. Die Bundesregierung hat ihn bei der Zuleitung an den Bundesrat als besonders eilbedürftig bezeichnet mit dem Ziel, den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens schnellstmöglich zu erreichen. Nachdem der Bundesrat in seiner Sitzung am 12. Mai 2023 beschlossen hat, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben, hat er den Entwurf dem Bundestag zugeleitet. Ob und inwieweit es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch Änderungen am Gesetzentwurf geben wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist damit zu rechnen, dass die 11. GWB-Novelle noch dieses Jahr und möglicherweise sogar noch vor der parlamentarischen Sommerpause in Kraft treten wird.
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