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Frischer Wind aus Den Haag: Folgen für Klimaklagen gegen Unternehmen?

09. Dezember 2024

Das Thema Klimaerwärmung nimmt weltweit in Gerichtsverfahren an Bedeutung zu. So auch in den Niederlanden: Dort hat zuletzt der Gerichtshof Den Haag ein wegweisendes Urteil zu der Frage gefällt, ob Unternehmen eine (einklagbare) Pflicht haben, durch Reduktion ihrer Emissionen einen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels zu leisten.

Am 12. November 2024 erging im Rechtsstreit zwischen Shell und der Vereinigung Milieudefensie das lang erwartete Urteil in zweiter Instanz [1]. Im Kern dreht sich das Verfahren um die Frage, ob der große Öl- und Gaskonzern grundsätzlich dazu verpflichtet werden kann, seine Emissionen zu reduzieren. Großer Streitpunkt dabei ist die Frage der Gewaltenteilung: Kann ein Gericht durch zivilrechtlichen Richterspruch Maßnahmen zur Minimierung des Klimawandels treffen, oder obliegt dies vielmehr dem Gesetzgeber und der Regierung?

Erste Instanz: Klagestattgabe

Im Mai 2021 hatte das Bezirksgericht Den Haag entschieden, dass ein Unternehmen auch auf dem Zivilgerichtsweg zur Einhaltung seines Beitrags zur Minimierung der Folgen des Klimawandels verurteilt werden kann. So hat das erstinstanzliche Gericht den Öl- und Gaskonzern dazu verurteilt, das jährliche Gesamtvolumen aller CO2-Emissionen des Konzerns in die Atmosphäre derart zu reduzieren, dass der Konzern bis Ende 2030 nur noch netto 45 % des CO2 gegenüber dem Stand von 2019 emittiert [2] .

Dabei argumentierte das niederländische Bezirksgericht, dass ein ungeschriebener Sorgfaltsmaßstab für Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten bestehe. Dieser Sorgfaltsmaßstab werde auch nicht dadurch geschmälert, dass Staaten ihren eigenen Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte nicht oder nicht ausreichend nachkommen. Daher sei nicht ausreichend, dass Unternehmen die politischen und gesetzlichen Entwicklungen lediglich beobachten und sich diesen anpassen. Aufgrund der schwerwiegenden Gefährdung der Menschenrechte durch die Folgen des CO2-Ausstoßes können daher auch private Unternehmen aufgefordert werden, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, selbst wenn diese ein erhebliches finanzielles Opfer bedeuten.

Nun zweite Instanz: Klageabweisung mit Folgen?

Gegen das klagestattgebende Urteil der ersten Instanz legte der Ölkonzern—wie zu erwarten war—Berufung ein. Nun verkündete der Gerichtshof Den Haag sein Urteil. Zwar konnte Shell einen Erfolg verbuchen, da das niederländische Gericht in der zweiten Instanz die Klage abwies. Allerdings lässt die Urteilsbegründung erahnen, dass das Gericht grundsätzlich mit dem erstinstanzlichen Gericht dahingehend übereinstimmt, dass Klimaschutz—auch aus rechtlicher Sicht—einen entscheidenden Faktor in bestehender und zukünftiger Unternehmenspolitik darstellt.

Denn im Ausgangspunkt sieht auch das Berufungsgericht einen ungeschriebenen Sorgfaltsmaßstab im Bereich des Deliktsrechts, welcher durch Menschenrechte und damit auch durch den Schutz vor nachteiligen Folgen der Klimaerwärmung bestimmt wird. Daher seien Unternehmen, die zur Klimaerwärmung beigetragen haben und zu der Minimierung deren Folgen beitragen können, grundsätzlich verpflichtet, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Jedoch könne einem niederländischen Unternehmen mangels ausreichender wissenschaftlicher und vor allem auch gesetzlicher Grundlage nicht eine konkrete prozentuale Reduktion seiner Emissionen entlang der Wertschöpfungskette (sog. Scope 3-Emissionen)—die hier lediglich streitig waren—auferlegt werden. Auch die jüngst auf europäischer Ebene im Rahmen des „Green Deal“ erlassenen Verordnungen und Richtlinien (insb. auch CSDDD [3] und CSRD [4] ) sehen keine bestimmten CO2-Reduktionsziele für die Unternehmen vor.

Auch wenn die Klage in zweiter Instanz gescheitert ist, weist die Argumentation des Gerichtshofs darauf hin, dass Klimaklagen in den Niederlanden dann Erfolg haben könnten, wenn sie bestimmte Unternehmensprojekte verhindern sollen, welche nachweislich negative Auswirkungen auf die Klimaerwärmung haben. Voraussetzung wird jedoch sein, dass erfolgreich vorgetragen werden kann, dass jenes Projekt nicht in jedem Fall von einem Wettbewerber ausgeführt würde, da in diesem Fall die Untersagung des Projekts gegenüber einem Unternehmen im Ergebnis zu keiner wirksamen CO2-Reduzierung führt. Auch wenn es sich um ein niederländisches Urteil handelt, ist nicht auszuschließen, dass—angetrieben durch die Haltung des Gerichtshofs Den Haag—durch Umweltorganisationen auch in anderen europäischen Ländern vor Gerichten entsprechend argumentiert wird.

Blick nach Deutschland

In Deutschland sind die Gerichte bei zivilrechtlichen Klimaklagen gegen Unternehmen bisher eher zurückhaltend. Dort stützen sich die Klagen überwiegend auf einen Unterlassungsanspruch wegen einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dabei lehnen die deutschen Gerichte einen Unterlassungsanspruch regelmäßig aus mehreren Gesichtspunkten ab: Unter anderem verneinen die Gerichte oftmals—insbesondere im Bereich des Verkehrssektors—auch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Unternehmen, sobald die Unternehmen durch ihr Handeln nicht gegen Gesetze oder sonstige Vorschriften verstoßen:

Sofern der Gesetzgeber, dessen vorrangige Aufgabe es ist, widerstreitende Grundrechte zu einem gerechten Ausgleich zu bringen […], eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen hat, die (auch) die Belange und Rechte der Kläger berücksichtigt und schützt, sich die Beklagte innerhalb dieser Regelungen bewegt und sich auch die Folgen ihrer Handlungen – gemessen an diesen Regelungen – nicht als rechtswidrig darstellen, steht den Klägern ein quasinegatorischer Anspruch gegen die Beklagte nicht zu.[5]

Zudem besteht im Rahmen der Störereigenschaft regelmäßig erhöhter Begründungsbedarf, da die Unternehmen die behauptete Beeinträchtigung der Rechte der Klagepartei auch tatsächlich verhindern können müssen [6] . Momentan sind Klimaklagen gegen Automobilhersteller vor dem Bundesgerichtshof anhängig und es bleibt abzuwarten, ob dieser in seinen Entscheidungen neue Ansätze und Begründungen anbringt.

Fazit

Spannend bleibt, ob und inwieweit sich die europäische und deutsche Rechtsprechung in den nächsten Jahren hinsichtlich Klimaklagen weiter positionieren und entwickeln wird. Fest steht, dass Umweltorganisationen sich nicht gedulden, bis gesetzgeberische Regelungen erlassen sind, um gegen Unternehmen und deren Klima- und Unternehmenspolitik vorzugehen. Abzuwarten bleibt nun, wie die niederländische Umweltorganisation auf die Klageabweisung durch den Gerichtshof Den Haag reagieren wird. Fest steht jedenfalls, dass das niederländische Gericht künftige Klimaklagen keinesfalls im Kern erstickt hat, möglicherweise sogar eher befeuert hat und auch weitere Industrien jenseits der Energie- und Automobilbranche in den Fokus geraten.

ANSPRECHPARTNER

Bei Fragen oder für weitere Informationen zu den hier behandelten Themen stehen Ihnen folgende Ansprechpartner gerne zur Verfügung:

Autoren
Sylvia Reinhart (Munich)

[1] Gerichtshof (Gerechtshof) Den Haag, Urteil vom 12.11.2024, Az. 200.302.332/01

[2] Bezirksgericht (Rechtbank) Den Haag: Verpflichtung eines Unternehmens (Shell) zur Emissionsreduktion, KlimR 2022, 31

[3] Richtlinie (EU) 2024/1760 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit

[4] Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen

[5] OLG Stuttgart: Klimaschutzklage gegen Mercedes-Benz: Berufung der Deutschen Umwelthilfe zurückgewiesen, ESG 2023, 361 Rn. 62

[6] OLG München: Deutsche Umwelthilfe scheitert mit Klage gegen BMW, ESG 2023, 370